Archiv 9/2003
Kandidat 1
Eigennamen gibt es, die laden zum metaphorischen Sprachspiel geradezu ein. Eine Kunst ist indes der Schritt vom üblichen Kalauer zur gelungenen Analogie. Über die drastischen Sparmaßnahmen der hessischen Landesregierung heißt es wie folgt:
"Koch hungert Hessen aus" (taz, 4.9.2003, S. 6)
Unsere Laudatio: Rhythmisch an Faßbinders "Angst Essen Seele auf" angelehnt, macht uns diese nahrungsmetaphorische Schlagzeile ganz subtil klar, dass zwischen den Diäten, die Politiker sich selbst, und denen, die sie ihren Landeskindern verordnen, erhebliche Unterschiede bestehen. Ob die hungrigen Hessen noch viel Appetit auf einen Kanzlerkandidaten Koch haben? [do]
Kandidat 2a
Die Leidenschaft eines Fußballtrainers stellt momentan die leidende Spielkultur der von ihm betreuten Mannschaft in den Schatten. Zwar war der Wutausbruch Rudi Völlers vor laufenden Kameras metaphorisch an sich eher konventionell - die Exkrement-Metaphorik ist wenig kreativ -, doch in seiner journalistischen Exegese kommen seltsame Kunststückchen zusammen:
"Politische Viererkette für Rudi Völler - Flaue Wirtschaft, miese Steuereinnahmen, marodes Sozialsystem - und nun auch noch ein tobender DFB-Teamchef. Zumindest wegen der Krise der Nationalmannschaft rücken die Parteien jetzt zu einer großen Koalition zusammen: Kanzler Schröder, SPD-Präsidium, Innenminister Schily und CSU-Chef Stoiber bilden einen Abwehrriegel vor Rudi Völler." (spiegel-online 8.9.2003)
Unsere Laudatio: Die Verwendung von Fußballmetaphorik zur Schilderung der Diskussion um die Tiefschläge des Teamchefs war erwartbar. Nachdenken sollten die online-Journalisten des Spiegels jedoch über taktische Fragen. Wer vor einen angriffslustigen Völler einen Vierer-Abwehrriegel stellt, der verhindert, dass dieser punkten kann. Uns' Rudi braucht keinen Abwehrriegel, sondern gute Flankenspieler und Knipser. Aber dass die Rettung für den deutschen Fußball von Schröder, Schily und Stoiber kommen kann, glauben ja nicht einmal Netzer und Delling. [do]
Kandidat 2b (unser Sieger)
Peinlicher als so mancher Politikerkommentar ist eine kleine metaphorische Äußerung des bayerischen Sportjournalisten Waldemar Hartmann:
"Während Chef-Kritiker Netzer von Völler noch relativ harmlos attackiert wurde (...), unterstellte der Teamchef "Waldi" Hartmann mit Weißbier-Anspielungen eine schlechte Arbeitsmoral - entschuldigte sich aber noch in der laufenden Sendung dafür. Für den jovialen Bayern, der sich über ein Aufsehen erregendes Interview freute, war die Sache damit auch vergessen. Schließlich habe er Völler ja auch gar nicht kritisiert. "Ich war nur der Kollateralschaden", meinte Hartmann grinsend." (kicker-online, 8.9.2003)
Unsere Laudatio: Der als 'Unwort des Jahres 1999' gekürte Kollateralschaden feiert hier aus dem Munde des bierseligen Bayern fröhliche metaphorische Urstände. Wurden euphemistisch vernebelnd die getöteten Opfer der NATO-Bombenangrhttp://iffe auf Jugoslawien 1999 als "Kolletaralschäden" bezeichnet, greift Herr Hartmann diese metaphorische Nebelbombe wieder auf und setzt sie deplaziert in den ganz unkriegerischen Kontext eines effektvollen Fernsehauftritts. Der Euphemismus verliert nichts von seiner Hässlichkeit dadurch, dass man ihn metaphorisiert. Zum Grinsen besteht wenig Anlass, mit dem nächsten Weizen stopfe man Waldi das Maul, kristallklar! [do]
Kandidat 3
Eine sehr typische Schlagzeile der letzten Tage konnte im Hörfunk des Westdeutschen Rundfunks aufgeschnappt werden:
"Die Maut steht im Stau" (WDR2 17.9.2003, 23 Uhr 34)
Unsere Laudatio: Sonderlich originell ist es gewiss nicht, auf konventionelle sprachliche Bilder aus dem Verkehrsbereich zurückzugreifen, wenn über Straßenbenutzungsgebührenverzögerungen gesprochen wird. Dennoch haben wir hier eine ganz eingängige Re-Motivierung des überstrapazierten Reformstaus. Mit diesem Metaphernlob fordern wir zugleich journalistische Kreativität ein und würden gerne von 'Stolpe im Tollhaus' und 'Katz und Maut'-Spielen hören. Für die Metaphernkiste möge gelten: Hier kommt die Maut! [do]
Kandidat 4
Die europäische Union sollte schnell einen Ministerrat 'for silly walks' einrichten. Nach der Euro-Ablehnung durch eine Mehrheit der Schweden kommentierte die Frankfurter Rundschau wie folgt:
"Zur Kunst des Voranschreitens in Europa gehört auch die Toleranz gegenüber unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Dies wird angesichts der Erweiterung wichtiger sein denn je. Das schwedische Nein wäre nur dann ein Beinbruch, wenn nun alle humpeln müssten. Da aber ist die Entschlossenheit einiger der bedeutendsten Staaten der EU vor, das Projekt voranzutreiben" (Frankfurter Rundschau, 16.9.2003).
Unsere Laudatio: Diese Metapher geht so, bzw. diese Metapher geht so: die konventionelle bildliche Verwendung von Beinbruch wird etwas gekünstelt verknüpft mit humpeln und dem Europa der vielen Geschwindigkeiten; trotzdem hinkt das Bild ein wenig, denn selbst wenn die Frage der Fortbewegungsmöglichkeiten geklärt ist, bleibt die Richtung völlig offen. [do]
Kandidat 5
Geradezu alchimistisch mutet folgendes Beispiel aus einer Programmankündigung des ZDF an:
"In den 90er Jahre sagten Wissenschaftler für das 21. Jahrhundert Wasserkriege voraus, und tatsächlich wird das Trinkwasser immer knapper - es ist sozusagen das "schwarze Gold" der Zukunft" (ZDF-vision-Newsletter vom 19.9.2003).
Unsere Laudatio: Metaphern sind magisch: Aus Gold wird Kohle und Öl, diese wiederum transformieren sich in Wasser. Hans im Glück wäre froh, und so unlogisch ist diese Verbindung nicht, lässt sich doch auch mit Wasser Kohle machen - die Versorger-Unternehmen beweisen es -; bleibt zu hoffen, dass wir bei Wasserkriegen auch in Zukunft an kindliche Wasserpistolenduelle denken dürfen und nicht die Analogie zu schmierigen Feldzügen ums Öl in den Sinn kommt.. [do]
Kandidat 6
Ein Kurzbericht des Bonner General-Anzeigers vom 23.9.2003 machte uns auf folgende Wortschöpfung aufmerksam:
"Kinderbarometer wird immer populärer - PROSOZ-Angebot im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit - Ein breites Echo, nicht nur in allen allgemein zugänglichen Medien, finden die Ergebnisse des LBS-Kinderbarometers NRW, das von den ProKIDS-ExpertInnen des PROSOZ-Kompetenzzentrums Kinder - Jugend - Schule erarbeitet wird." (Internetseite der Prosoz-Herten)
Unsere Laudatio: Unter Hochdruck sollte nach einer neuen Bezeichnung für die von der Landesbausparkasse gesponserte Umfrage unter Kindern gesucht werden. Denn die meteorologische Analogie ist windschief. Kinder sind niemals Barometer! Ihre Stimmung steigt nicht mit dem Druck, den man auf sie ausübt. Möge diese Einsicht im PROSOZ-Kompetenzzentrum - welch bürokratische Wortschöpfung! - ankommen! [do]