Archiv 1/2003
Unser Archiv für den Januar 2003
Kandidat 1
Als Zitatwort geistert folgende metaphorische Schöpfung nun schon seit einigen Monaten durch die Presse- und Politiksprache. Es wird leider Zeit, sich mit dem metaphorischen Welttheater näher auseinander zu setzen. Der Beleg ist übrigens willkürlich gewählt, viele andere Verwendungen sind zu attestieren:
Jong USA
Unsere Laudatio: Uns schwant Böses. Hier wird mit einer aus dem Theater stammenden Metapher effektvoll verharmlost, Presse und Politik greifen gerne zur Verschleierung des beschlossenen Krieges das Bild der für eine fiktionale Darbietung aufgestellten Kulisse auf. Nun, unter einem Präsidenten Reagan hätten wir uns über Schauspiel-Metaphorik nicht gewundert, die Welt lässt sich leicht als Theater- oder Filmszenerie begreifen, in der Kulissen verschoben, Schurken gestellt und Helden gemacht werden. Doch bei einem von George Bush jr. befehligten militärischen Aufmarsch von mehreren Hunderttausend Soldaten handelt es sich wahrlich nicht um Theaterdonner. Die abzusehenden Toten werden kein Requisitenblut opfern, sondern ihr ganz reales Leben. Wie viel Hoffnung bleibt noch, dass dieses Theater nicht in ein blutiges Drama ausartet? Die Subventionen seien ihm auf ewig gestrichen und die Regisseure verdammt! [do]
Kandidat 2
Der 'politische Selbstmordattentäter', wie Graf Lambsdorff seinen Noch-Parteikollegen Jürgen Möllemann nannte, lässt uns nicht in Ruhe:
"Möllemann drohte, sich im Fall eines Parteiausschlusses massiv gegen die Liberalen zu wenden. Die FDP werde sich entscheiden müssen, ob sie die "politische Kampfmaschine Möllemann" in den eigenen Reihen haben oder gegen sich selbst richten wolle". (AFP 11.1.2003, 11.51 Uhr)
Unsere Laudatio: Treffender und entlarvender hätten es weder inner- noch außerparteiliche Gegner Jürgen Möllemanns formulieren können. Dieser Protagonist einer antisemitisch angereicherten Selbstinszenierung stellt sich als das dar, was sicherlich keine Qualität in der demokratischen politischen Auseinandersetzung ist: als Maschine - die per definitionem eben nicht mit Geist beseelt sind -, deren Kampf sich nicht gegen Positionen, sondern gegen Menschen richtet. Wer aber braucht in der Politik schon Kampfmaschinen? Möllemanns sprachliches Bild passt allenfalls zu einem Politikverständnis von Freund und Feind des Anti-Demokraten Carl Schmitt, doch seine Zeit ist hoffentlich schon lange vorbei. [do]
Kandidat 3 (unser Sieger)
Die zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland sind seit jeher nicht bloß eine politische, sondern immer auch eine metaphorische Angelegenheit. Ein Blick auf die Berichterstattung zum 40jährigen Jubiläum der Elysée-Verträge beweist dies:
"Ehe mit Herz und Vernunft - Das Paar ist wieder auferstanden. Wie oft hatte man es in den letzten Jahren fast aufgegeben, stets schien es am Rand einer Nervenkrise: Entfremdet, zerstritten, zerrüttet, geschieden. Nun wollten Bundeskanzler Schröder und Präsident Chirac der Welt demonstrieren, dass ihre Länder in einer untrennbaren Schicksalsgemeinschaft verbunden sind: Erbfreunde statt Erbfeinde. Der deutsch-französische Motor läuft derzeit auf hohen Touren, und Chirac wie Schröder geben mächtig Gas. Sinnigerweise hat der französische Ausdruck "le couple franco-allemand" eine doppelte Bedeutung: eine liebevoll-sentimentale, "das Paar", und eine technisch-mechanische, das "Drehmoment"." (Spiegel online 23.1.2003)
Unsere Laudatio: Die hier verwendete Metaphorik ist äußerst konventionell. Da wird zum einen die Ehe-Metapher bemüht - die Leonberger Kreiszeitung sprach anlässlich des Vertragsjubiläums gar vom 40. Hochzeitstag -, zum anderen das zweite gängige deutsch-französische Bildfeld des Motors herangezogen. Originell ist dann aber an diesem Beleg die geschickte Verknüpfung der beiden metaphorischen Projektionen durch einen Hinweis auf das Bedeutungspotential von frz. couple. Eine bravouröse und sinnige metaphorische Verbindung dort, wo andere nur stereotype Sprachbilder wiederholen. [do]
Kandidat 4
Die unseligen Kriegsvorbereitungen der USA laufen. Wir fragen uns mittlerweile gegen wen:
"[Der] (..) schwang ganz konkret mit der Vetokeule im UN-Sicherheitsrat. [..] US-Verteidigungsminister Rumsfeld attackiert Frankreich und Deutschland [Bildunterschrift neben vorangegangenem Beitrag]." (Die Presse 23.1.2003)
Unsere Laudatio: ARGUMENT IS WAR (Lakoff/Johnson 1980), diplomatischer Streit als Krieg metaphorisiert, gehört nun zu den gängigen Mustern in der Alltagssprache, weshalb die Vetokeule als eher archaische Argumentationsführung charakterisiert werden dürfte. Nur wenn der hochgerüstete Rumsfeld zur Attacke gegen Frankreich und Deutschland bläst, stellt sich die Frage, wo die konventionelle Metaphorik aufhört und die konventionelle Kriegsführung beginnt. Müssen wir uns auf erzwungene Regimewechsel in Berlin und Paris vorbereiten, oder werden vorher noch Waffeninspekteure nach Mururoa geschickt? [do]