Archiv 7/2003
Unsere Kandidaten für den Juli 2003
Kandidat 1
Italien hat pünktlich zum Halbjahreswechsel die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernommen, und die 'Ölpfütze von Mann' (Wiglaf Droste) Silvio Berlusconi flegelt sich durch seine Antrittsrede mit Vergleichen, die wir hier nicht reproduzieren möchten. Doch auch jenseits aller KZ-'Ironie' scheint seine Politikvorstellung metaphorisch irgendwie unstimmig zu sein:
"Rom plant Konjunkturprogramm - Die kränkelnde europäische Wirtschaft will Silvio Berlusconi durch umfassende Infrastruktur-Projekte ankurbeln. Ein für Rechtspolitiker ungewöhnliches Wirtschaftsbelebungsprogramm wurde am Dienstag im Europaparlament vom italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi präsentiert. Er sprach sich für "staatliche Investitionen" in der EU aus, um die aktuelle Nachfrageflaute zu überwinden." (Die Presse, 3.7.2003).
Unsere Laudatio: Das hört sich nicht nach durchdachter Politik an. Motoren-, Körper- und Wettermetaphorik gehen im Sprachbild eine unlogische Verbindung ein. Kranke werden angekurbelt wie Motoren anachronistischer Automobile, und Belebung soll durch aufbrausende Winde vonstatten gehen. Das passt einfach nicht! Das Bild ist schlicht schief, der italienische Regierungschef fällt mit ihm aus dem Rahmen. Wir wünschen weiche Landung! [do]
Kandidat 2
Ein weiteres Bild zum gleichen Thema, diesmal aber in ganz bescheidenem lokal-schwäbischen Rahmen:
"Italien fährt vor. Für ein halbes Jahr gehört die Pole-Position in Europa Regierungschef Silvio Berlusconi. Die EU-Präsidentschaft erfüllt auch die in Stuttgart lebenden Italiener ¸¸mit Stolz'', wie Generalkonsul Mario Musella sagt. Ein Anlass zum Feiern - und Musella hatte dazu am Mittwoch 300 Gäste ins Haus der Wirtschaft eingeladen, in das sich einige stilecht chauffieren ließen. (Leonberger Kreiszeitung, 3.7. 2003)
Unsere Laudatio: Italien, Formel 1 , Pole-Position, wir haben verstanden, eine übliche Verbindung, über die in der Metapher eine originelle Assoziationenkette erzeugt werden soll. Diese Metapher schreit allerdings nach einer Fortsetzung: Gegen das Reglement wurde schon in der ersten Runde verstoßen, doch eine Disqualifikation kommt nicht in Frage. Der vorne liegende Pilot ist schließlich seit wenigen Tagen gegen alle Schiedsgerichtsentscheide immun. Vor die Wand fährt er den Wagen möglicherweise trotzdem. [do]
Kandidat 3
Letztes Jahr zelebrierten wir im Sommer das internationale Großereignis der Fußball-Weltmeisterschaften, dieses Jahr freuen wir uns auf einen packenden UI-Cup. In die Qualifikationsrunde zur Metapher des Monats kommt dieser Wettbewerb allemal:
"'Der UI-Cup hat nicht das Zeug für einen Traum, er ist nicht mehr als ein durchgebrochener Strohhalm, um vielleicht am internationalen Kuchen naschen zu können', sagte Holger Hieronymus, noch im vergangenen Sommer Sportdirektor des HSV, damals" (taz, 4.7.2003, S.19)
Unsere Laudatio: Ein schönes Bild: Sportdirektoren werden zu Poeten. Nur bleibt uns bei der von Herrn Hieronymus gespielten Metaphernflanke von Strohhalm zu Kuchen der Krümel im Halme stecken. [do]
Kandidat 4
Ein weiteres Großereignis ist das Radrennen quer durch Frankreich, auf dem so mancher Fahrer bereits in den ersten Tourtagen über interkulturelle Differenzen stürzen musste. Olaf Pollack klagte dementsprechend über seine autralischen Berufskollegen:
"In Saint-Dizier schimpfte er aber zu Recht wie ein Rohrspatz: "Die Australier McEwen und Cooke fahren wie die Fleischer. Was hier im Sprint abgeht, ist unglaublich. McEwen hatte heute Haselbacher auf dem Gewissen. Er hat ihn in die Absperrung gedrückt. Mittlerweile habe ich einen richtigen Hass auf diese Leute. Wo kein Loch ist, ist kein Loch. Aber sie fahren trotzdem durch. Wir werden jetzt mit den selben Mitteln arbeiten." (Saarbrücker Zeitung 10.7.2003)
Unsere Laudatio: Rohrspatzen dürften von Fleischern nicht viel zu befürchten haben. Dennoch wundern wir uns über diese etwas unkonventionelle Metaphorik, die möglicherweise Ergebnis eines sprachlichen Entlehnungsprozesses sein kann, bedeutet frz. boucherie in metaphorischer Bedeutung in der Tat ein wahres Gemetzel, während deutsche Fleischer eher mit dem Charme von Handwerksinnungen, selten aber den von echten Mords- und Sportskerlen in Verbindung gebracht werden. Doch vielleicht steckt hinter dem Sprachbild doch noch eine größere Weisheit. Werden in der Fleischproduktion nicht auch so manche illegale Arzneien beigesetzt, die schlussendlich Ab- und Umsatz erhöhen? [do]
Kandidat 5
Der nächste Kandidat stammt aus ganz anderen Hemisphären, nämlich einem katholischen Hochzeitgottesdienst aus der Kirche St. Jakobus in Köln-Widdersdorf. Pfarrer Rainer Fischer servierte folgende Metapher:
"Gott ist nicht der Zuckerguss auf der Torte des Lebens, sondern die Rosinen im Teig des Kuchens" (St. Jakobus, Köln-Widdersdorf, 12.7.2003, 14 Uhr 45)
Unsere Laudatio: Der frischgebackene Metaphernkandidat ist wegweisend gleich in mehrfacher Richtung: es erklärt, warum Theologen, wenn sie sich streiten, vielfach zum Korinthenkacken neigen und verleiht zugleich dem interreligiösem Streit den Status von Tortenschlachten. Die schlimmste Aussicht wäre dies nicht. Fundis aller Konfessionen schleudern sich - slapstickkomödienhaft - Sahnetorten in die Gesichter... Unbekannt bleibt uns bei alledem, wie der Widdersdorfer Hochzeitsgesellschaft die Torte gemundet hat. [do]
Kandidat 6 (unser Sieger)
Über die britische Presse vermittelt erreichte die deutsche Medien in verschiedenen Variationen folgende Metaphorisierung des britischen Premierministers Tony Blair:
"Kratzer im Teflon - Bernie Ecclestone, Lakshmi Mittal und Jo Moore haben eines gemeinsam: Alle drei bescherten dem britischen Premierminister Tony Blair politische Affären, an die sich heute niemand mehr erinnert. Es ging um Bestechung und das von New Labour zur hohen Kunst erhobene „Spinning“, das geschickte Verdrehen der Wirklichkeit. Am Saubermann Blair ist davon nichts hängen geblieben – außer einem neuen Beinamen: Teflon-Premier. Die Erfahrung spricht dafür, dass es sich mit dem neuen Skandal um den Selbstmord des UN-Waffeninspekteurs David Kelly nicht anders verhalten wird. Einer der Obersten Richter untersucht die Angelegenheit und erstattet Bericht. Dass Blair darin die Schuld am Tod Kellys nachgewiesen wird, ist unwahrscheinlich. Der Premierminister könnte genötigt sein, den einen oder anderen „Spin-Doctor“ zu opfern; er selbst aber dürfte mit ein paar Kratzern im Teflon davonkommen." (Rheinischer Merkur, 24.7.2003)
Unsere Laudatio: Diese Metapher trifft: Teflon bzw. genauer Polytetrafluorethylen ist - laut Informationen des Wissensportals wissen.de - durch Polymerisation von Tetrafluorethylen gewonnener Kunststoff, der hohen Temperaturen und chemischen Einflüssen widersteht sowie gute Gleiteigenschaften besitzt. Letztere waren Mister Blair bei seinen Bushbesuchen sicherlich von Vorteil; die Temperaturbeständigkeit erfüllt in hitzigen Debatten und Wortgefechten ihren Zweck, und nicht zuletzt erklärt dieses sprachliche Bild, warum der britische Premier die Weltöffentlichkeit so erfolgreich in die Pfanne hauen konnte. [kg/do]