Archiv 11-12/2002

Unser Archiv für den November und Dezember 2002

Kandidat 1

Wenn liberale Grafen Kamikaze als Bildspender heranziehen, dann sind potentielle Landesvorsitzende Meisterinnen des Bildbruchs. Dr. Ulf Weber-Wang machte uns auf folgende Stellungsnahme aufmerksam:

"Da wir ständig angestichelt werden von irgendwelchen Leuten, haben wir als geschäftsführender Landesvorstand gesagt, wir sind bereit, den Hut in den Ring zu werfen", sagte die designierte Landesvorsitzende Ulrike Flach am Freitag. Sie werde deshalb am Montag dem Landesvorstand den Rücktritt des Gremiums anbieten." (Spiegel-online, 1.11.2002).

Unsere Laudatio: Hut ab, Ring frei, lautet die korrekte Fortsetzung des Bildes. Das entwürdigende Schauspiel der Freien Demokraten zeitigt also unerwartete metapherntheoretische Konsequenzen:  Dem ungehobelten Umgang mit gutem Geschmack und Spendengeld folgt die Total-Verflachung des sprachlichen Bildes in der Politik. Die Spaß-Party ist zuende. [uww/do]

Kandidat 2

Wie es um die Friedensbewegtheit der kurzfristig pazifistischen SPD bestellt ist, lässt folgende Metaphernverwendung ihres Generalsekretärs erahnen:

"Wir wollen die Lufthoheit über die Kinderbetten erobern.". (Olaf Scholz, Genralsekretär der SPD in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 3.11.2002)

Unsere Laudatio: Man mag fragen, was einen Generalsekretär (sic!) zu einem derartig martialischen Metaphern-Ritt anspornt: Ist es der absolute Wille zur Macht? Ist es das Bewusstsein, als Pfeffersack mit Elbblick nun der Heerschar von Quitjes und deren Nachkommenschaft ideologisches Zaumzeug schon in die Wiege zu legen, um damit für einen neuen Kampf gegen was und wen auch immer zu rüsten? Wir wissen es nicht. Wissen tun wir aber, dass Hamburg von einem der fürchterlichsten Bombenangriffe des 2. Weltkriegs betroffen war, und daran sollte sich auch der Ex-Altonaer SPD-Vorsitzende irgendwie erinnern. Wir bitten deshalb, von solchen rhetorischen Flächenbombardements à la Göring Abstand zu nehmen, der dereinst versprochen hatte, dass er Meyer heißen wolle, wenn nur ein alliiertes Flugzeug über Berlin auftauchen sollte...[md]

Kandidat 3

Auf folgende, einem sprachlich ambitionierten Leserbrief entspringende Metaphernflut macht uns Birte Schnadwinkel aufmerksam:

"Schlagseite. Das als unsinkbar geltende Schiff Deutschland liegt fahruntüchtig im Schulden-Meer. Starke Strudel tauchen auf, und schwarze Löcher lassen ein Bermuda-Dreieck vermuten. Doch am Ruder des schief liegenden Dampfschiffs Deutschland steht der Steuer-Mann Eichel, der jetzt, nach seiner Wiederwahl, eingesteht, dass beim Zusammenstoß von Theorie und Wirklichkeit doch mehr Decks durch Wasser überflutet wurden, als man hätte vermuten müssen. Hilfe vom Ausland indes ist nicht in Sicht, und gegen Kapitän Schröder erheben sich Stimmen, die einen Fahrfehler im tiefen Finanz-Gewässer proklamieren. Die reichen Fahrgäste stehen derweil ungläubig an Deck, raffen aber schon die wertvollsten Mitbringsel zusammen und machen sich fertig, das Schiff zu verlassen. Doch die, die keine Rettungsweste haben erhaschen können, lauschen paralysiert der Stimmungsmusik vom Führungs-Orchester zu und blicken dem drohenden Untergang tatenlos entgegen. Die Hilferufe von Hans Eichel an seine Oppositionskollegen, die seit einigen Wochen wieder im Keller die Kohlen schaufeln, man solle ihm doch Vorschläge zur Rettung des Schiffes vorlegen, klingen dabei wie Hohn. Gewählt, aber handlungsunfähig und ideenlos sitzt der Steuer-Mann im Salon und bedient sich zügellos an der Getränkebar und scheint auf das Wunder zu warten. Fraglich ist, ob der eigentliche Kapitän das Schiff vorzeitig verlässt oder ob er alle Fahrgäste zum zweiten Mal in so kurzer Zeit an die Wassereimer heranbeschwören kann und damit ein Sinken verhindern kann. Sein Steuer-Mann scheint sich bereits für ein Rettungsboot entschieden zu haben. Als Problemlöser ist auf ihn wohl kaum mehr zu zählen. "Familien, Kinder und Mütter zuerst. Und die SPD zuletzt", hallt laut über das Deck" (Leserbrief von André H. Brömmel, Hamburger Abendblatt, 15.11.2002).

Unsere Laudatio: Abgesehen von der metaphorisch gestellten Frage, ob nicht eher zuwenig als zuviel Wasser das Problem unserer politischen Steuermänner ist - Hans Eichel sitzt auf dem Trockenen, in den Kassen herrscht Ebbe - sehen wir diesen Beleg als ein eindrückliches Beispiel dafür, wie sich die traditionellsten Metaphernfelder des Abendlands verselbständigen können, zumal wenn der deutsche Kalauer mit dem antiken Steuermannstopos kollidiert. Herr Brömmel hat hier in der Tat ein verkettetes Konstrukt aus sprachlichen Bildern entworfen, dessen Statik dennoch - dies die bittere Feststellung von metaphorik.de - kaum halten kann. Der Stil des Leserbriefs will sich Prestigeträchtig, ist Collage aus sprachlichen Abziehbildern, dem Tanker gleich erleiden diese jedoch Schiffbruch, und wir hoffen sehr, die Leser des Hamburger Abendblatts erreichen das rettende, metaphernunverschmierte Ufer. [bs/do]

Kandidat 4 (unser Sieger)

Den Staatsfinanzen geht es schlecht, und leider kann auch die Regierung nicht alles, was zu ihrer Verteidigung gesagt wird, für bare Münze nehmen. So verfocht ein uns namentlich nicht bekannter Rundfunkhörer in der Anrufsendung folgende Metapher:

"Seit der Euro da ist, muss auch die Regierung jeden Pfennig umdrehen." (WDR5, 5.12.)

Unsere Laudatio: Ein schöne Vorstellung! Angesichts der schlechten Umfragewerte werden die regierenden Herren Eichel und Schröder beruhigt sein, dass noch ein Bürger für ihr Sparen Verständnis aufbringt, oder sollten wir sagen, es wird ihnen ein  centnerschwerer Stein vom Herzen fallen..? [ro/do]

Kandidat 5

Die Probleme der öffentlichen Kassen sind offensichtlich grammatischer Natur. Dies lässt jedenfalls folgende Passage aus einem Interview der Berliner Zeitung, das Hendrik Munsberg mit dem Sozialwissenschaftler Meinhard Mengel geführt hat, vermuten: 

"Lassen Sie uns, bitte, zunächst das Einmaleins der Sozialkassen durchdeklinieren, damit wir ein paar Zusammenhänge und Größenordnungen besser verstehen lernen." (Berliner Zeitung 15.11.2002)

Unsere Laudatio: Das Einmaleins der Sozialkassen, des Einmaleins(es?) der Sozialkassen, dem Einmaleins der Sozialkassen, knifflig vor allem die Pluralbildung: heißt es die Einmaleinse oder die Zweimalzwei? Wir LinguistInnen und SprachliebhaberInnen von metaphorik.de sind beruhigt, auch in diesen schweren Zeiten noch eine sinnvolle Betätigung gefunden zu haben. Und was die Sozialkassen angeht: Gilt da nicht eigentlich schon lange eine alte rheinische Weisheit: Null mal Null ist Null bliev Null? Munsberg, bitte deklinieren! [km/do]

Kandidat 6

Die Weihnachtskarpfen schwimmen schon in den Badewannen deutscher Haushalte, da titelt anlässlich einer neuen EU-Fischfangquotierung die tageszeitung:

"EU haut Fisch in die Pfanne" (taz 23.12.2002, 1).

Unsere Laudatio: Ein Lob der Artenschutzmetonymie! Doch ginge es nicht auch freundlicher formuliert? Etwa: Fische immer moderner: EU garantiert Kabeljau Netzanschluss...? Ein Frohes Fest unseren Lesern! [do]

Kandidat 7

Bislang war in der Zeit 'zwischen den Jahren' die Weihnachtsgeschichte die wundersamste Erzählung, die wir zu hören bekamen. Seitdem sich aber der Privatsender RTL die Vierschanzentournee im Skispringen gesichert hat, werden ganz neue Mythen und Metaphern geprägt:

"Der Mythos, dass einer alle vier Schanzen gewinnt, ist letztes Jahr geknackt worden" (Günther Jauch, RTL 29.12.2002, 13 Uhr 05)

Unsere Laudatio: Laut Duden ist ein Mythos eine "Sage und Dichtung von Göttern, Helden und Geistern; die aus den Mythen sprechende Glaubenshaltung; Legendenbildung, Legende". Günther Jauch selbst hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Geschichte des Vierfachsieges von Sven Hannawald viel, ausschweifend und stark medial zugespitzt erzählt wurde. Legendenbildung, in der Tat,  dank RTL wurde die reale Person Hannawald zur einer sagenhaften Mythengestalt Hanni. Die Mythenmetaphorik wurde selbst anno 2001/02 erschaffen und sollte jetzt 2002/03 fortgesetzt werden. Doch würde auch Herr Jauch kaum diese Mechanismen medialer Inszenierung - so er sie versteht - jemals selbst offen legen, sprich knacken. Hoffen wir, die Sprungkünstler fliegen in diesen Tagen sicherer als die lavierenden geflügelten Ausdrücke des Herrn Jauch. Wir halten es da lieber mit Friedrich Holländer, der da komponierte: Man muss seine Schanze nutzen.. [do]

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